You are currently browsing the monthly archive for April 2008.

Heute ein Rätsel für Kulturconnaisseurs: Auf welche Frau treffen alle diese Aussagen zu?

1) Sie kann mit 50 noch einen Spagat hinlegen.
2) Sie hat eine Vorliebe für glitzernde Strampelanzüge, die ihre Beine freilegen.
4) Schrecklich, wie würdelos sie altert.
5) Toll, dass sie so radikal ihr eigenes Ding durchzieht.
6) Sie erfindet sich immer wieder neu.
7) Sie sollte sie sich jetzt endlich mal was Neues überlegen.
8) Wird sie denn nie erwachsen?
9) Musikalisch fällt ihr auch nichts mehr ein.
10) Großartig, wie sie immer den aktuellen Zeitgeist in ihrer Musik einbezieht.
11) In ihrem Alter so mit jungen Männern rummachen – da muss man sich ja fremd schämen.
12) Sexy!
12) Mit Hilfe von soviel Schönheitschirurgie kann jede Frau mit 50 klasse aussehen.
13) Erstaunlich, wie durchtrainiert sie noch ist. Die muss sich sicher ziemlich quälen, die Arme.
12) Diese Frau ist ein Gesamtkunstwerk/eine Ikone/eine Diva/ein Phänomen.
13) Diese Frau ist peinlich/schrecklich/bescheuert/unerträglich.

Die Lösung ist einfach?

Es ist Madonna!

Stimmt.
Einerseits. Andererseits gab es eine Vorgängerin, auf die all diese Aussagen auch zutreffen.

Marika Rökk, das unverwüstliche Tanztalent der 30er bis 70er Jahre. Die, mit dem Paprika im Blut. Madonnas spirituelle Großmutter.

Hannah Montana ist eine irrsinnig erfolgreiche Tennie-Serie in den USA, die von einem 13jährigen Mädchen handelt, das ein Doppelleben führt: tagsüber brave, brünette Schülerin, abends mit blonder Perücke ein Popstar. Eine der üblichen Disney-Produktionen, einer Filmfirma, die groß wurde, weil sie schon immer clever die Sehnsüchte von Kindern zu bedienen wusste.

Nun hat die 15jährige Hauptdarstellerin Miley Cyrus Ärger. In der Juni-Ausgabe der US-Vanity Fair erschien ein (!) Foto von ihr, das sie nur mit einem Satinlaken bedeckt, in Rückenansicht zeigt. Aufgenommen von Annie Leibowitz


Fotomontage: New York Times

Die US-Elternschaft reagierte empört. Miley, ihre Eltern und Manager, die während des Shootings das Foto noch mochten, ruderten zurück und entschuldigten sich bei den Fans. Schließlich ist ein hunderte Millionen Dollar schwerer Franchising Markt auf die Sympathie der Zuschauerinnen angewiesen. Die Moralapostel aller Lager beschimpfen Chefredakteur und Fotografin, die sich offiziell betroffen zeigen – insgeheim aber einen Freudentanz aufführen dürften. Dass ein harmloses Foto ihr Blatt so grandios in die Schlagzeilen bringt, hätten sie sich wahrscheinlich nicht mal in ihren kühnsten Träumen erhofft.

„I watched about five minutes of the show out of a sick curiousity and I have to say that Hannah Montana just confirms my impression that teenage girls in America are about the biggest idiots in the entire world.“ schrieb ein Kommentator zudiesem Hannah-Montana-Video. Ein Urteil, das so auch auf die Eltern zutrifft. Von den Verantwortlichen bei Vanity Fair kann man das dagegen nicht behaupten. Der Coup ist genial.

Das war der Blick aus unserem Küchenfenster:

Das geschah heute morgen:

Das ist jetzt der Blick aus unserem Küchenfenster:

Ja, es stimmt: Man kann um einen Baum trauern

Ein beeindruckendes Beispiel für den weltberühmten Berlin Style: Penis mit Pickelhaube

Wenn Schaufensterpuppen Rückschlüsse zulassen auf das Frauenbild einer Gesellschaft, dann ist im Moment eine interessante Entwicklung im Gang.

Früher schmückten wohlfrisierte Damen die Fenster, deren Haarpracht spontanen Neid auslösten. Dann waren eine Zeitlang mit weißem Lack überzogene Abbilder von Brigitte Nielsen (der furchteinflößenden dänischen Ex-Ehefrau von Sylvester Stallone) sehr populär. Oder es hingen mehr oder weniger kunstvoll designte Kleiderbügel rum (quasi als versinnbildlichte Aussage aller Models mit Minderwertigkeitsgefühlen, die sich als „Kleiderständer“ mißbraucht fühlen). Seit Jahren bevölkern nun vor allem elegante, kopflose Figuren die Auslagen, in die sich die Betrachterin leicht hineindenken kann. Jetzt haben sie Konkurrenz bekommen: zierliche großäugige Nymphen mit aisatischem Einschlag, die das Wunder vollbringen, gleichzeitig (Tschuldigung) schlitz- und kulleräugig die Welt zu bestaunen.

Nicht das sowas neu wäre. Kunstobjekte im Kindchenschema gibt’s als Putten, kleine Jesulein, Prinzessinnen aller Epochen und aus dem Tierreich.

Bambi sollte den Identifikationsimpuls vor allem bei Kids wecken (lange bevor in vergoldeter Geschmacklosigkeit Filmstars damit umschmeichelt wurden. Aber das ist eine andere Geschichte). Die rehäugigen Schaufensterpuppen in Designerfähnchen in Münchens Upperclassboutique Teresa wenden sich dagegen eindeutig an Frauen mit gehobenem Einkommen – und das können ja nicht nur Teenagertöchter sein. Oder sollen die Lolitas doch eher einkommensstarke Ehemänner dazu anregen, dem heiß geliebten Trophywife was Nettes von Cloé oder Gucci zu apportieren?

Möglich ist auch , dass die Schaufenstergestaltung eine kaufkräftige Touristenklientel aus Asien ansprechen soll, die München traditionsgemäß sehr schätzt.

Oder eben alles zusammen. Bambi und Mangamädels als wesensverwandte Comicfiguren bedienen die Sehnsucht von Erwachsenen nach Kitsch genauso wie der japanische Künstler Takashi Murakami. Der hat es geschafft, mit Spitzenpreisen das schlechte Gewissen der Ästheten zu beruhigen. Vielleicht handelt der Schaufensterdekorateur bei Teresa ähnlich clever.

In den Mangaforen im Web freuen sich die Teenagermädels noch ganz unmittelbar an den japanischen Erbinnen von Pipi Langstrumpf. Die Bilder der Mangaheldinnen helfen ihnen, hat man den Eindruck, die Angst vor dem Erwachsenwerden zu bewältigen.

Und vielleicht schaffen genau das die Magapuppen im Schaufenster von Teresa auch. Die weibliche Angst vor dem Erwachsenwerden (oder gemeiner: vor dem Altern) für ein paar Augenblick weg zu zaubern.

Der coolste Hund mit Porkpie war natürlich Gene Hackman in The French Connection.


USA 1971; Regie: William Friedkin

Da alle Welt (und Britney Spears) Trilby trägt, ist mein Mann auf ein weniger inflationär verbreitetes Hutmodell umgestiegen. Einen Porkpie, die favorisierte Kopfbedeckung solcher coolen Hunde wie Buster Keaton, dem Jazzer Lester Young und der Architekturlegende Frank Lloyd-Wright (v. li. n. re.)

Auf der Suche nach der perfekten Form bastelte Buster Keaton sich seine Hüte immer selbst. Das ging meinem Mann dann doch zu weit. Nachdem in München kein Porkpie aufzutreiben war, graste er das Internet ab, bis er bei einem Hutladen in New Yorks Orchard Street fündig wurde. Und nach einigen Tagen im Zoll, wo die von ihm ausgehende Bedrohung für die deutsche Kopfbedeckungsindustrie geprüft wurde, ist das gute Stück jetzt endlich angekommen.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die einzige Schweinepastete aus Filz im gesamten Alpenvorland.

Ein kleiner Nachtrag zu den halterlosen Strümpfen, die in Styling-Denglish auch Overknees heißen. Prada versucht nun schon in der zweiten Saison, die Frauen dafür zu erwärmen. Einen gewissen Kokotten-Charme kann man diesen leicht verkürzten overknee socks (britisches Englisch) an den, mit dringend dafür notwendigen Fohlenbeinen ausgestatteten, Models auch nicht absprechen.


Foto: Raymond Meier/US-Vogue

In den Händen von Patricia Field, der meiner einsamen Meinung nach völlig überschätzten Kostümbildnerin von Sex and the City, geht dann leider jeglicher Charme verloren.

Sarah Jessica Parker trägt in dem von allen 30ty- und 40ty-Somethings fiebrig erwarteten Sex-and-the-City-Kinofilm auch Overknees. Da sie dünne, gut durchtrainierte Beine hat und fehlende Länge mit extrem hohen Absätzen wett macht, hätten sie alle Chancen spektakulär auszusehen. An ihr zeigt sich aber leider nur, dass an Storchenstelzen statt einem Röllchen einfach Haut über den Rand quillt. Bei diesem Field-Styling bleibt nur noch die Kokotte übrig, um nicht zu sagen Schlampe. Wobei das allerdings in den Kreisen von Lady „Bitch“ Ray (s.u.) schon wieder als Ehrentitel gilt. Und das sie gerade den Ton angibt, könnte es also sein, dass Overknees im Sommer endgültig salonfähig sind.

Ein guter Tipp auch für Frauen, die im Job nach amerikanischer Manier Strümpfe tragen müssen: Overknee socks wären doch mal was Neues in Banken, Versicherungen, Consultingfirmen oder Airlines ;-)

Eigentlich wähnte ich mich endlich in einem Alter, in dem mich nichts mehr schockieren kann. Und dann gelang es doch zwei Frauen innerhalb kürzester Zeit:

1. Der wunderbaren Charlotte Roche mit ihrem – na sagen wir mal kontrovers diskutierten – Roman Feuchtgebiete.

Freundin L. drückte mir das Buch in die Hand, mit dem Hinweis, ihre beiden 20jährigen Töchter fänden es „ekelhaft“. So was macht neugierig. Dies ist kein Buch, mit dem man sich gemütlich auf die Couch zurück zieht. Es dauerte Tage, bis ich die 218 Seiten bezwungen hatte. Die Beschreibung von so unfeinen Sachen wie Hämorrhoiden, Kloritualen und proktokologischen Untersuchungen („beim Arzt für unten hinten“) oder die liebevolle Klassifizierung der Schleimabsonderungen diverser Körperöffnungen verlangt vom Leser viel Durchhaltewillen. Die ganze Zeit schwankte ich zwischen Abwehr, Faszination, Amüsiertheit und Respekt für den Mut der Autorin.

2. Als mir dann noch mein 18jähriger Sohn Lady „Bitch“ Rays Video „Du bist krank“ vorspielte, weil er es „echt gräßlich“ fand, brauchte ich auch erst mal eine längere Denkpause – die sich beim recherchieren immer länger ausdehnte.

Lady Ray rappt nicht nur. Auf ihrer My-Space-Seite erweist sie sich als auch begnadete Selbstdarstellerin. Das obige Votzen-Sport-Workout-Programm zum Nachturnen z.B. hat echte Performance-Qualität.
Schnell stellt sich die Frage: Ist das, was diese deutsch-türkische Rapperin alles veranstaltet, nun Porno, Kitsch, Kunst oder einfach nur sehr, sehr clevere Selbstvermarktung?

Manchmal können die guten alten Printzeitungen beim Nachdenken dann doch noch behilflich sein. Heute erschienen in der SZ unabhängig voneinander ein Artikel über Charlotte Roche (im Feuilleton) und einer über Lady Bitch Ray (im Vermischten). Eine Platzierung, die darauf hinweist, dass ich nicht allein stehe mit meiner Verwirrung über dieses neue deutsche Frauenphänomen. Lothar Müllers zwei Spalten lange Besprechung zielt darauf ab, Charlotte Roche nachzuweisen, dass sie „an Heidi Klum leidet“ und „den Mädchen, die nach Castingshows wie ‚Deutschland sucht das Supermodell‘ anstehen, eine möglichst rabiate Gegenfigur“ anbieten wollte. Ein guter Trick eines intellektuellen Zeitungsschreibes, um sich vor dem Reflektieren weiblicher Sexualität zu drücken, ohne sich zu weit davon zu entfernen. Muss er so doch keine unanständigen Worte fürchten. Und falsch ist der Hinweis auf die Casting-Shows nicht.

Claudia Frommes sympathisierendes Porträt über Lady Ray liest sich sehr vergnüglich. Am Ende mag man die Bitch, versteht, was sie antreibt und wundert sich nicht, wenn sie sich als „eine Feministin der neuen Generation“ bezeichnet – und auch Charlotte Roche dazu zählt. Die Erkenntnis „man muss nicht aussehen wie eine Eule, um für die Frauenrechte zu kämpfen“ ist zwar nicht neu aber sie stimmt noch immer. Auf die Frage, warum sie das alles tut, antwortet sie im verweiblichten Rapper-Slang, es habe sie „einfach in der Möse gejuckt.“

Charlotte Roche wäre mit dieser Antwort sicher auch einverstanden.

Tut mir Leid, L. T. R. und P., aber ich finde sie doch super, die beiden Ladies.

Jetzt läuft sie also, drüben bei den Webkollegen von prada.com: die Prada Prototypes Auction 2008 (Geduld! Der Link baut sich seeehr langsam auf.)

Die italienische Nobelmarke versteigert Online Einzelstücke aus der Sommerkollektion 2008. Prototypen deshalb, weil auch Fashiondesigner ähnlich wie Auto- oder Milchquirldesigner ein paar Versuche brauchen, bis das perfekte Modell entwickelt ist. Solche, die dann auch auf den Laufsteg dürfen. Mit den ausgemusterten Teilen veranstaltet Prada nun schon zum wiederholten Mal eine Internetauktion und stiftet den Erlös einer Wohltätigkeitsorganisation. An wen das Geld geht, was alles in den nächsten drei Wochen versteigert wird und wie das ganze Procedere abläuft, kann man auf der Prada-Website (s.O.) nachlesen. Bevor jetzt aber alle schon mal hektisch das Kleingeld zusammen sammeln, hier zwei Warnhinweise.
1. Prada ist halt doch nicht e-Bay. Schnäppchen gibt’s hier nicht. Eher das Gegenteil – weil schätzungsweise saudiarabische, russische und US-Milliardärinnen mitbieten, außerdem internationale Modemuseen, Fußballergattinnen, Fashioncafebesitzer, Verrückte, Sammler und die Konkurrenz von Prada. Um nur mal ein paar Beispiele zu nennen. Die abgebildete bemalte, deutsche-telekomfarbene (cyclam!) Hose lag vor 20 Minuten bei 1600 Euro – und sie bleibt noch eine Woche im Angebot.

2. Die Sachen sind gemacht für Models auf dem Laufsteg. Wenn Größe S dran steht, dann nur weil es für Größe „spindeldürr“ keine eigene Bezeichnung gibt. Jede Frau die sich ehrlich eingesteht, dass ihre Hüfte in nichts unter Größe 34 passt, sollte nur mitbieten, wenn sie das Teil danach gerahmt an die Wand hängen will.

Macht nichts? Na dann viel Spaß!

La Reski spricht mir aus der Seele.

Wer immer Frau Merkel (53) zu ihrem Dekolleté ermutigt hat, es war bestimmt keine Frauenzeitschriftenredakteurin.

Dass ich an einem Wochenende zweimal den Spiegel in Sachen Mode zitieren muss (siehe vorhergehenden Post), gleicht einer Kulturrevolution. Offenbar übt sich das Herrenkampfblatt in seiner Rolle als die neue Vogue:

„Ihr Auftritt in Oslo war in Sachen Couture nahezu perfekt: Das schwarze Abendkleid mit türkisfarbenem Bolero-Schal, Ton in Ton mit dem seidenen Abendtäschchen und sogar den Schuhspitzen, wirkte feminin, glamourös und dennoch staatstragend.“

Wo er recht hat, da hat er recht, der Spiegel.

Auch die BU zu dem folgendem Foto folgt streng den Richtlinien eines Gentleman, wie das im deutschen Topjournalismus eben üblich ist:

„Angela Merkel und der norwegische Regierungschef jens Stoltenberg. Die Vorliebe der Kanzlerin für klassische Musik ist bekannt – am Galaabend lauschte sie der Oper „In 80 Tagen um die Welt“ des norwegischen Komponisten Gisle Kverndokk.“

Liebe Angela Merkel, so ein Dekolletée kriegt Carla Bruni nicht hin. Wenn Sie weiter den Franzosen (und der Welt) auf derart unterhaltsame Art und Weise Lektionen in Sachen germanischem Schick erteilen, werde ich es halten, wie meine Freundin B. und sie beim nächsten Mal auch wählen.

Im Spiegel behauptet die Verlagsgröße Angelika Taschen heute, genug von dem Gedöns um It-Bags zu haben und glücklich von Bottega Veneta auf ein 120-Euro-Verkäuferinnen-Modell umgestiegen zu sein – um im letzten Absatz dann doch feige eine Kehrtwendung zu vollziehen:
„Trotz meiner Handtaschenkrise schaue ich wieder nach der idealen Clutch für den Abend (gerade hochaktuell). Ist die Jil-Sander-Clutch mit ihren eleganten Proportionen besser als die etwas schräge von Lara Bohinc? Einmal süchtig, immer süchtig, und genau darauf setzt die Modebranche und findet weltweit massenweise Opfer.“
Also, was nun Frau Taschen? Wurden Sie wegen einer klaren Meinung oder wegen Ihres Namens für diesen Artikel engagiert?
Ich persönlich halte es wie Carine Roitfeld und packe Schlüssel, 20-Euro-Schein und eventuell das Handy in die Manteltasche. Damit ist man für die üblichen Kalamitäten eines Tages bestens gerüstet. Für offizielle Termine leihe ich mir von Freundin A. das quadratisch-praktische schwarze Thatcher-Modell. Nicht gerade Weltklassedesign, das Label nicht erwähnenswert, insgesamt aber sympathisch unauffällig. Damit kann man nichts falsch machen.

Huch, ich bemerke, ich bewege mich in Frau Taschens Richtung. Ich falle auch um!

Würde mir jemand so ein Jil-Sander-Teil nachwerfen – ich würde es auffangen!

Eine andere Möglichkeit, sich dem It-Bag-Getue zu entziehen, ist die ökologisch korrekte Schiene.

Der Guardian stellt in einer Diashow dieses und sieben andere No-Names vor, die aus Kimono- und sonstigen Stoffresten gefertigt sind, aus ausgemusterten Lederpolstermöbeln oder alten Plastiktüten und von Flüchtlingen, Waisenkindern oder ähnlich hilfsbedürftigen Mitmenschen genäht wurden. Wer weiß, vielleicht sind solche Labels bald genauso begehrt wie die gerade angesagten, kauft man damit doch gleich noch ein zusätzliches Nice-to-Have mit: ein gutes Gewissen.

Du, sag ich zu meinen Mann. Guck dir das an, das ist jetzt Mode.

Ach, sagt er. Durchgeknallt, zugedröhnt und abgestürzt, das war zu meiner Zeit auch schon Mode. Nur waren damals die Männer berühmt und die Frauen die Groupies. Heutzutage ist das umgekehrt.

Quatsch, sage ich, die Hüte.

Nun das interessiert ihn wirklich. Er hat geschätzte 40 Stück davon, wesentlich mehr als Schuhe und fast soviel wie Messer und das alles sammelt er auch. Als ich ihn kennenlernte, machten sich andere Männer in seinem Alter mit Baseballmützen lächerlich. Er favorisierte schon damals die gleichen Kopfbedeckungen wie mein Opa. Im Winter aus Filz, im Sommer aus Panama oder von irgendwelchen italienischen Wochenmärkten. Er kann begeistert über die verschiedensten Modelle (Trilby, Porkpie, Fedora) referieren, über Materialien (kanadischen Kaninchenfilz versus bayerischen Schafswollfilz), über das effizienteste Schweißband, über die ideale Breite der Krempe (Zweieinviertel Inch beim Porkpie, weil der stingy brim affig ist) und ihre schickste Form (hinten schroff gestürzt beim Trilby) oder über Sinn und Zweck von Hutbändern (verhindern das Ausdehnen. Schmückendes „Obst“ daran ist nur was für Frauen und Trachtler). Elegant darf das Ganze auch nicht aussehen, sondern so als hätte es schon mehrere Leben lang in Kneipen am Haken gehängt.

Ich erinnere mich, dass wir in der Karibik unser Leben aufs Spiel setzten, weil während einer Bootsfahrt ein aufkommender Sturm ihm seine weitgereiste australische Rarität vom Boot ins Meer blies und drei Mann, statt schleunigst ans Ufer zu steuern, mit Stangen nach dem guten Stück angelten. Mit Erfolg, kurz bevor die Wellen über uns zusammenschlugen. Ich erinnere mich an einen wirklich ernsthaften Ehestreit, weil ich ein unmögliches Ding, das ihm meiner Meinung nach überhaupt nicht stand, einfach aus dem Fenster warf. Spätnachts, im Hochsommer, bei bestem Wetter. Der Hut überstand die Krise ohne Schaden. Im Moment liebäugelt er mit einem Porkpie, einem Modell, das sonst nur Jazzmusiker (Lester Young), Architekten (Frank Lloyd Wright) und Komiker (Buster Keaton) zu tragen wagten. Es ist seit ewigen Zeiten aus der Mode. Aber ich bin mir sicher, man kann dem avantgardistischen Modegespür meines Mannes auch in diesem Fall vertrauen. In sätestens zwei Jahrzehnten werden es die dann aktuellen Popstars entdeckt haben und total hip finden.

Wer das Thema weiter vertiefen möchte: Hier eine interessante Adresse.

Und ein Tipp für Frauen, die auch gerne mal ein bißchen Pete Doherty spielen möchten – nur schicker: Die junge Barbara Habig aus einer bekannten Wiener Hutmacherdynastie gibt dem Panamahut in diesem Sommer einen „funky flavour“ Das steht ihm gut. Und ihr auch.