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Ach, wie süß: der Spiegel zieht in der aktuellen Ausgabe (und Online) über Blogger her. Die Blogospäre regt sich wahnsinnig auf. Alle verlinken sich entrüstet hin und her. Die Clickzahlen steigen auf beiden Seiten und alle kommen sich wahnsinnig wichtig vor. (Jetzt könnte ich die Links dazu hier auch einbauen und damit mehr Leute auf meine Seite ziehen, ist mir aber wurscht, weil sowas von Gähn.)

Blogger sind der Meinung, das Internet wird Print über kurz oder lang töten und da ist was dran. Eigentlich keine üble Vorstellung. Um täglich News an den Leser zu bringen, müssen keine Bäume gefällt, kein bedrucktes Papier produziert und auch nicht mehr in stinkenden Lastern durch die Gegend gekarrt werden. Da die ganze teure Logistik entfällt, braucht es auch keine Verlage mehr, um die Infrastruktur zu organisieren. Das dämmert Springer, Holzbrinck, Burda und Co. gerade. Es macht sich Panik breit, weil keiner weiß, wo die Reise enden wird. Aber alle geben wahnsinnig viel Geld aus, um noch schnell auf den Begräbniszug aufzuspringen. Es werden Unsummen im Internet investiert, die Schreiber spart man ein. In den USA wurden schon tausende von Journalisten arbeitslos, dafür hoffen die Verlage jetzt auf user generated content. Was bedeutet: Verlagsmanager träumen davon, dass Leser so blöd sind, für lau ein noch schöneres Anzeigenumfeld zu liefern als teure Autoren. Sie starten im Internet immer neue Versuche, dieses Erfolgsmodell durchzusetzen. Natürlich vergeblich. Aber die Kosten müssen die Printredaktionen mit Sparmaßnahmen wieder ausgleichen. Die Konsequenz: die Qualität im Print sinkt, die Leser springen noch schneller ab, die Anzeigen bleiben aus und schuld an allem ist das Internet.

Bei Tageszeitungen sieht es am schlimmsten aus. Die wird es bald nicht mehr geben. Als alte Zeitschriftenfrau, die schöne Bilder mag und nicht zuviel Worte, sehe ich die Lage für mein Metier optimistischer.

Die Internetseite, die es schafft, halbwegs brauchbare Optik zu produzieren wie hier die nicht weiter erwähnenswerte Modezeitschrift Madame in einer ganz alltägliche Fotostrecke, die muss erst noch erfunden werden. Als Zeitungsverlagserbe würde ich die geerbte Klitsche schnell verscherbeln, bevor sie nichts mehr wert ist. Als Zeitschriftenverlagserbe würde ich gepflegt abwarten, bis alle pleite sind und dann (fast) mein ganzes Geld einsetzen, um die besten Fotografen, Autoren und Grafiker zu engagieren und ein erstklassiges Blatt machen. Sollte das Ding dann keine Liebhaber finden und den Bach runter gehen, dann wenigstens mit Würde und Anstand.

Das deutschlandweit stilbildende Druckerzeugnis Instyle hat das Model Agyness Deyn als It-Girl geoutet.

Nicht, dass diese Information neu wäre. Von der Süddeutschen über den Spiegel bis hin zur gesamten Frauen- und Klatschpresse – kein Blatt, das sich dem Zeitgeist verpflichtet fühlt, kann im Moment die Britin ignorieren. Ihre gefühlte Popularität erreicht schon fast die der angelsächsischen Überikone Lady Di.

Da It-Girls allgemein als Geschmacksbarometer gelten, ist interessant, was Miss Deyn auf dem Instyle-Foto trägt. Das Ganze sieht zwar aus wie für das Party-Motto „Punk“ zurechtgepfriemelt, darf aber nicht als Schnapsidee unterschätzt werden. Es zeigt klar, was modemäßig demnächst auf uns zu kommt. Nö, nicht die Union-Jack-Tasche. Seit den letzten Sportereignissen ist jegliches Flaggendesign wegen inflationärer Verbreitung streng verboten. Pumps zu knöchellangen Röhrenhosen gehören auch in den Abfalleimer der Modegeschichte. Und falls das ein Kreuz sein sollte, was da im Dekollete baumelt, das gilt höchstens noch bei Kirchentagsbesuchern als chic.

Nein, das zukunftsweisende Teil dieses Ensembles ist der Pullover. Mit heißer Nadel selbstgestrickt, zipfelig und löchrig, wegen funktionierender Luftzufuhr partytauglich. Kreationen wie diese sind absolut im Kommen.

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Die zu recht hochgelobten Rodarte-Sisters aus New York zeigen in ihrer Winterkollektion, wie man schwarze Löcher in Kunstwerke verwandelt.
Und ein anderer Könner – Dries van Noten – hatte eine ähnliche Idee.

Kopien dieser Art von Strickwaren – demnächst in einem Zara oder H&M near you.

Es soll noch Menschen da draußen geben, die gedruckte Magazine lesen – und sich auf jeden Termin beim Zahnarzt oder Gynäkologen freuen, weil sie dann ungeniert einer heimlichen Leidenschaft frönen dürfen: Sich alle im Wartezimmer rumliegenden, zerfledderten Exemplare von Gala oder Bunte reinziehen. Diese Sucht befriedigt das Internet viel nachhaltiger. Mit Klatschseiten, die ihre Häme schneller, gemeiner und witziger abschießen, als alle Hamburger und Münchner gemeinsam. Dazu täglich, knapp und kostenlos. Für den kleinen Spaß zwischendurch. Dass die oft fünftklassigen Promis und Sternchen in Deutschland keiner kennt, ist für das Vergnügen völlig egal. In der Bunten kann man ja auch nicht jede Pappnase identifizieren.
Mein Tipp zum Einstieg (Englischkenntnisse vorausgesetzt): Gofugyourself. Internetsurfern braucht man diese Meisterinnen des fein ziselierten Spotts nicht mehr zu empfehlen. Sie sind weltberühmt. Aber auch all den hartgesottenen Fans von Druckerzeugnissen seien sie ans Herz gelegt.
Zur Einstimmung hier eine kleine fiktive Konversation zwischen zwei echten Celebrities: Tina Turner und Giorgio Armani. Anlass: ihr Kleid.

Ab dem 8. August muss ja schon wieder Sport geguckt werden. Höchste Zeit also, um sich noch mal schnell – bevor Trainingsanzüge und verschwitzte Trikots die Bildberichterstattung dominieren – anzuschauen, was neben der Olympiade sonst modemäßig in China passiert. Natürlich hat das Land, wie jede boomende Industrienation, eine eigene Fashionweek. Die letzte fand im März in Peking statt, gezeigt wurden Kollektionen für den Herbst/Winter 2008/9 und diejenigen der westlichen Modejournalisten, die davon Kenntnis nahmen, waren sich in ihrem Urteil einig: „Absolut untragbar“ (absolutely unwearable). Was in diesen Kreisen das höchste Lob ist, bedeutet es doch, die Designer haben sich nicht von kommerziellen Zwängen leiten lassen, sondern munter drauf los phantasiert. Ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse eventueller Käuferinnen.
Bewiesen wurde dabei, dass
1. Selbstironie und Kommunismus sich nicht ausschließen

2. auch in China Talente à la Lagerfeld und Galliano heranreifen

3. Maoanzüge, Suzie-Wong-Kleidchen, Drachenstickereien und Stehkragen im Reich der Mitte als erledigt angesehen werden können.


Fotos: chinadaily.com

Den ersten Preis beim Nachwuchswettbewerb „Hempel Award“ gewann übrigens ein Deutscher, David Ubl, Absolvent der Esmod Berlin, mit einer kreativen, aber sehr untragbaren Männerkollektion.

Karen Duve hat es mit ihrem neuen Roman „Taxi“ in die Spiegel-Bestseller-Liste geschafft. Warum, sei an einem Zitat verdeutlicht, das so ganz nebenbei beide Geschlechter stilkritisch abfertigt:

„Der Trendforscher hatte sich mit der zunehmenden Vereinzelung der Westeuropäer beschäftigt und vorausgesagt, dass sich in den Großstädten demnächst nach Geschlechtern getrennte Stadtteile herausbilden würden, in denen entweder nur noch Single-Frauen oder nur noch Single- Männer leben würden. Die Single-Frauen würden in schnuckeligen kleinen Stadtteilen wie Eppendorf oder Eimsbüttel wohnen. Sie würden Rüschengardinen an den Fenstern ihrer Altbauten anbringen, und es würde Cafés und Buchläden geben und Geschäfte, in denen man hübschen sinnlosen Krimskrams kaufen konnte. In den Männer-Stadtteilen würden Zweckbauten stehen – ohne Rüschengardinen. Statt Buchläden und Cafés würde es Kneipen und Fast-Food-Ketten geben und mindestens eine Sportarena. Was der Trendforscher bei seinen Prognosen aber noch nicht berücksichtigt hatte, war, dass die Männerstadtteile unter einer fortschreitenden Verslumung zu leiden haben würden. Ich dachte das für ihn zu Ende: Der Dreck bei den Männern würde kniehoch liegen. Bei den Frauen hingegen würde sogar das Laub zusammengeharkt, in kleine Stoffbeutel gefüllt und mit Samtschleifen in den neuesten Herbstmodefarben zugebunden und an den Straßenrand gestellt. Die Frauen würden auch große Plüschtiere auf die Verkehrsinseln setzen und niemand würde sie wegnehmen, außer wenn zufällig mal ein randalierender Mann rüberkäme. Wahrscheinlich würden die Frauen irgendwann das Elend in den Männerslums nicht mehr mit ansehen können, und sie würden freiwillige Putzkolonnen hinüberschicken. Die Putzkolonnen müssten dann weiße Sicherheitsanzüge tragen wie nach einem Reaktorunfall, und wenn sie aus den Männerstadtteilen zurück kämen, müssten sie zuerst durch eine Schleuse mit Desinfektionsduschen. Diese Desinfektionsschleusen wären überhaupt wichtig, damit die Männer nicht ihr ganzes Ungeziefer und ihre Bakterien mit in die kleine pastellfarbene Welt der Frauen trügen. Ich überlegte, in welchen Stadtteilen das Leben grässlicher wäre, und ich konnte mich nicht entscheiden.“

Obwohl der Roman in den 80er Jahren spielt und weder die neue Gebärfreudigkeit der Frauen berücksichtigt, noch die Vercoffeeshopisierung der Innenstädte, an der sich überraschend viele Männer beteiligen, ist er deshalb noch lange nicht altmodisch. Ganz im Gegenteil. So viel allgemeingültige Wahrheiten über beide Geschlechter hat keiner der Krimis auf der Bestseller-Liste zu bieten. Saukomisch ist er außerdem. Sehr empfehlenswerte Urlaubslektüre

In Paris haben die Haute Couture Schauen für den Sommer 2009 begonnen. Vorher gingen die Männer-Schauen zu Ende. In beiden spielte John Galliano mit – und er bot, wie immer, ganz großes Theater.


Alle Fotos courtesy style.com

Phantasielosigkeit wäre wirklich das allerletzte, was man ihm vorwerfen könnte.