Christa Geissler habe ich vor fast 20 Jahren kennengelernt. Sie stellte mich als Kulturredakteurin bei „Cosmopolitan“ ein und ließ mich machen. Nichts konnte sie schockieren. Sechs Wochen nachdem mein Kind auf der Welt war, schickte sie mich auf Reportage nach Budapest – inklusive Mann und Baby. Meinen Überlegungen, als Autorin nach London zu gehen, hörte sie zu und riet mir dann davon ab. „Jede Redaktion kann schnell mal einen Redakteur nach England jagen, da kriegst du keine Aufträge. Aber wenn du in die USA gehst, egal wohin, dann helfe ich dir.“ So zog ich nach New York, mit Kind, Mann und einem Autorenvertrag von Cosmopolitan. Der wurde erst von ihrer Nachfolgerin als Chefredakteurin von Cosmo gekündigt.
Christa hat schon früh gesehen, dass Frauen Seilschaften bauen müssen wie Männer – und sie war die erste im Seil. Die jenige, die die Haken in die Wand schlägt und das Seil einknipst, an dem die anderen hochklettern können. Aber sie hat auch gesehen, dass wir alle nicht an den 8000ern kletterten. „Solange niemand versucht, uns zu bestechen, haben wir keine Macht“, sagte sie.
Sie war Feministin, befreundet mit Alice Scharzer und Jutta Dithfurt, aber sie wusste auch, dass kein Verleger einer Emanze (so hieß das damals) sein Blatt anvertrauen würde. Also ließ sie sich die Haare vom Starfriseur stylen (und nahm ihn selbstverständlich in ihren Freundeskreis auf) und trug ihre schwarzen Klamotten mit der selben Arroganz wie ihre Kolleginnen. „Ist doch schick die Jacke“, sagte sie. „Rate, wo ich sie her habe.“ „Prada?“ „Bist du verrückt. Woolworth, 35 Euro.“ Aber ich schwöre, sie sah nach Prada aus.
Sie war eine hinterlistige Feministin. „Männer muss man manipulieren“, war ihr Credo – und sie tat es. Verleger, Geschäftsführer, Anzeigenleiter, Art Directoren und manchmal einem der seltenen Redakteure in einer Frauenzeitschrift wickelte sie mit leiser Stimme und eleganter Unverschämtheit um den Finger. Die durchschauten vielleicht manchmal ihr Spiel, gaben ihr aber trotzdem immer das, was sie haben wollte. Mehr Geld vor allem, das sie prompt, in Form von Honoraren und Gehältern, weiter reichte an andere Frauen. Zu ihrer Zeit bei Cosmo gab es acht(!) freie Autorinnen mit Pauschalverträgen, von denen sie gut leben konnten. Und das bei einer Monatszeitschrift und nicht dem Spiegel.
Als Christa pensioniert war, lud sie in unregelmäßigen Abständen zum Salon in ihre Wohnung. Es gab trockenes Brot, Wein und Wasser und jeder Versuch, sie vielleicht zu einem Dip zum Brot zu überreden, schlug fehl. Höchstens Weihnachtsplätzchen durfte man mit bringen. Es ging ihr um interessante Gespräche, um geistige Nahrung, wer den Glamour darin nicht erkannte, war bei ihr an der falschen Adresse. Das war ihr Stil, den zog sie durch.
Ihr Stil war es auch, ihren Freundinnen zu helfen, mit Geld, Beziehungen, Kontakten, und wenn jemand ein Auto brauchte, auch mit ihrem alten Golf. Sie gab Ratschläge, lektorierte Texte und hörte zu. Man konnte Probleme mit ihr besprechen. Ihre eigenen verschwieg sie. Wir wunderten uns in letzter Zeit, dass sie immer magerer wurde, aber nach den Gründen fragte niemand und die verriet sie uns auch nicht.
Sie wusste schon länger, dass sie Krebs hatte. Gestern in Christa Geissler gestorben. Am Ende doch schnell und alleine, aber klar und mit sich im Reinen, so wie es ihr Stil war.
4 Kommentare
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Sonntag, 07. Dezember 2008 um 3:10 pm
Stylebus « reskisrepublik
[…] Stylebus Der stylebus hat endlich wieder seine Fahrt wieder aufgenommen. Mit einer Todesanzeige. […]
Donnerstag, 11. Dezember 2008 um 3:28 pm
Mariette Rissenbeek
Ich wünschte, ich hätte es so schreiben können. Sehr einfühlsam, stimmig und mit großer Aufmerksamkeit und Liebe für Christia Geissler.
Freitag, 12. Dezember 2008 um 8:09 am
Lena Köster
Auch ich habe von Christa Geissler profitiert, sie setzte wegen meiner damals kleinen Kinder eine 4-Tage-Woche bei Cosmo für mich durch. Zu ihrer heutigen Beerdigung in München schicke ich ihr sonnige Grüße aus Amman.
Freitag, 12. Dezember 2008 um 11:09 am
Ulla Fröhling
Das ist ein Schock. Christa Geissler war meine Ressortleiterin bei Brigitte, im damals – für eine Frauenzeitschrift – berühmten Ressort „Umwelt und Zeitgeschehen“. Ich habe sehr viel von ihr gelernt. Handwerk und Strategien. Hohen journalistischen Anspruch. Die Brainstormings im Ressort sind mir als überaus lustvoll kreative Inszenierungen in Erinnerung. Sie besaß journalistischen Mut und förderte ihn bei anderen. Ja, sie hatte Stil. Das Ressort unter Christa Geissler brachte seriöse wissenschaftliche Studien auf den Weg und präsentierte sie im Heft – Studien, von denen nicht nur Frauenmagazine heute kaum zu träumen wagen. Christa erkannte Talent und traute sich es zu fördern. Natürlich polarisierte sie auch, was führenden Frauen besonders angekreidet wird. Weil es besonders schmerzt.
Als Christa zu Cosmopolitan ging, übernahm ich ihr Ressort bei Brigitte. Jahre später warb sie mich ab, und ich wurde eine der acht Autorinnen, die Rosemarie Bus erwähnt.
„Ihre eigenen Probleme verschwieg sie“, schreibt Rosemarie. Fürwahr. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Christas bester Freundin, vor etwa zehn Jahren. „Wie geht es ihr?“, hatte ich gefragt. Die Antwort: „Wer weiß das schon? Du kennst doch Christa.“